aus: Kölner Stadt-Anzeiger

 

Wissenschaft im Kriminalroman

Der Herr Professor und seine Mörder

Genetiker Uwe Heinlein verpackt Bio-Technologie und Kritik an der eigenen Zunft in "literarische Videoclips"

 

Von Marianne Quoirin

 

Wenn er mit seiner blauen Schürze über dem karierten Hemd und Arbeitshosen außerhalb des Labors in der Düsseldorfer Universität aufkreuzt, kann es vorkommen, dass ihn ein Student von oben herab anspricht: "Guter Mann, können Sie mir sagen, wo ich Professor Heinlein finde..." Der gute Mann lächelt dann den jungen Schnösel an und zeigt ihm den Weg zu seinem Büro im Haus 2603 links durch die Glastür, ganz hinten letzte Tür links. Wenn der Student sich dann von dem Schock erholt hat, eine Entschuldigung stammelt, weil er den Professor wegen der reichlich befleckten Schürze für den Hausmeister hielt, erlebt er eine weitere Überraschung, sofern er es wagt, sich im Arbeitsraum des Genetikers umzusehen: An den Wänden neben Vergrößerungen von Mäuserich-Sperma zum aktuellen Forschungsthema hängen Erinnerungsfotos von Familie und Freunden wie auch Plakate der "Tinkers". Unter anderem eines vom letzten Konzert im Kölner "Dionysos".

Uwe Alfred Otto Heinlein, 45, mag keine weißen Kittel, weil er sich von ihnen eingezwängt fühlt. Der Professor für Genetik braucht Freiraum. Und das nicht nur im Labor, wo er mit seiner Forschungsgruppe vielleicht auf eine neue Methode zur Empfängnisverhütung stoßen wird. Nachts schreibt er an seinem dritten Thriller, das Manuskript will er Ende Juli beim Middelhauve Verlag abliefern. "Wenn der Roman im Kopf fertig ist, kann ich ihn schreiben", sagt er.

Tatort Kurdistan

Von wegen Roman. Den Stoff für die Krimis liefern jedes Mal heiße Themen aus der Biotechnologie, im dritten Werk geht es um die heimliche Produktion biologischer Waffen. Tatort ist Kurdistan, durch das demnächst eine umstrittene Pipeline vom Kaspischen Meer bis an die Küste des Mittelmeers geführt werden soll. Noch bevor der Autor die letzte Zeile geschrieben hat, will er für ein paar Tage nach Baku fliegen, um selbst zu riechen, ob die ganze Region nach Öl stinkt. Zehn bis zwölf Seiten schafft Uwe Heinlein pro Nacht, wenn es gut geht: Notfalls schreibt er bis morgens um sechs, weil er ein Kapitel um jeden Preis abschließen will. Das Problem bei seinem jüngsten Buch: Er hatte schon das Konzept fertig, als ihm ein neuer Forschungsbericht in die Hände fiel. Die Realität hatte die Phantasie des Professors überholt. Der Wissenschaftler geht in seinen ungemein spannenden Thrillern über die Machenschaften bei der künstlichen Befruchtung ("Eisprung") und über lebensgefährliche Versuche mit Viren ("Infekt") mit der eigenen Zunft nicht gerade zimperlich um. "Ich wittere immer Unrat, wenn man viel Geld machen kann", sagt Heinlein. Das gilt im richtigen Leben, wenn Genetik-Professoren ihr Gehalt vom Staat kassieren und gleichzeitig als Geschäftsführer von privaten Unternehmen tätig sind.

Kritische Aufklärung

In seiner Welt der Fiktion versucht Heinlein, alle Träumer von Zukunftsvisionen der Biotechnik in die Realität zurück zu holen: In den Alltag von korrupten Politikern, auf Gewinnmaximierung fixierten Unternehmern und auf das beschränkte molekularbiologische Weltbild der Mediziner. Der Professor ist deshalb überrascht, dass Kollegen seine Bücher "erstaunlich positiv" aufgenommen haben. Was bringt einen Mann dazu, der mit Gen-Forschung sein Geld verdient, in höchst spannenden, aber nie simplen Geschichten kritische Aufklärung für Laien zu betreiben? Eine Zeit lang hat er versucht, über Podiumsdiskussionen die Öffentlichkeit zu informieren, aber irgendwann hat er dies aufgegeben, "weil jede Debatte immer bei der Fortpflanzungsmedizin endet". Gelegentlich meldet er sich auch in Leserbriefen zu Wort, wenn Zeitungen kritiklos in das Triumphgeheul der Forscher über angeblich bahnbrechende Fortschritte in der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts einstimmen.

"Wir stehen am Ende des Umwegs", so kommentiert Professor Heinlein die Bedeutung der Ankündigungen von Craig Venter vor zehn Wochen und des internationalen Human Genom-Projekts am Montag: "Die Daten sind wichtig für die Grundlagenforschung. Aber es wird noch sehr lange dauern, bis man die wichtigsten Lebensprozesse auch nur annähernd versteht. Die Ankündigung, die Erkenntnisse für eine pharmazeutische oder medizinische Anwendung schon in einigen Jahren nutzen zu können, ist absolut unseriös."

Seine Bücher hat Heinlein auch geschrieben, weil die meisten Wissenschaftssendungen im Fernsehen so langweilig sind. Die Lesungen, unter anderem bei Abiturklassen und aus Anlass einer Krimi-Serie in Bonn, hat er aber genossen. Da war der Autor gefragt - und nicht der Herr Professor. Erklärungsansätze dafür, dass er seit zwei Jahren in "literarischen Videoclips" informiert, bietet vielleicht seine Biografie. Der angelernte Kölner hat erst vier Semester Wirtschaftswissenschaften studiert. Er mochte den Massenbetrieb nicht, begann mit dem Studium der Biologie, weil ihn die Natur faszinierte. Im Hauptfach Genetik traf er auf Lehrer, die ihm eine neue Welt erschlossen.

Das Studium hat nicht den ganzen Mann aufgefressen. Neben seinem Kellner-Job im Kölner "Tinnef" gründete er mit Kommilitonen anderer Fachrichtungen die "TINKERS", um irische Musik zu spielen. Dass sie auch auf der grünen Insel Furore machten, gehört zu den Dingen, von denen Heinlein zu den Klängen irischer Revolutionslieder schwärmt. (Die fünf Musiker, heute allesamt wohlbestallte Akademiker, geben am 12. August in Gummersbach ihr nächstes Konzert.) Für Heinlein, Akkordeon und Flöte, war das noch nicht genug. Er wurde Mitglied bei den Grünen, für einige Zeit sogar ihr Sprecher in Köln, bis er die totale Ablehnung der Gen-Technik nicht mehr akzeptieren konnte. "Es ist schade", sagt Heinlein heute, "denn die Grünen wären die einzige Partei, die das Thema politisch angemessen bewältigen könnte."

Der Genetiker bedauert, dass die Wissenschaftler "relativ wenig" über ethische Fragen diskutieren oder sich selbst Richtlinien zusammenbasteln müssen. "Die Diskussion erinnert mich fatal an die Anfänge der Atomenergie", sagt Heinlein. "Man unterliegt dem Wahn, alles machen zu können, ohne die Folgen bedenken zu müssen." Zur Debatte über die viel diskutierten Tests zu Früherkennung genetischer Defekte, fällt dem Wissenschaftler auf Anhieb ein Beispiel aus seinem Bekanntenkreis ein. Ein Physiker hätte um ein Haar einen Arbeitsplatz nicht bekommen, weil ein Enzym-Wert extrem hoch gelegen habe; dass er gleichzeitig über einen ausgleichenden Faktor verfügte und höchst fit war für den begehrten Job, war nur zufällig ans Licht gekommen, denn üblicherweise wurde die den Ausgleich schaffende Analyse nicht gemacht.

Die Kernfrage für Gen-Tests formuliert er so: "Wer bestimmt, was die Basis ist?" Soll heißen: Welche Werte sollen der Maßstab für die Norm sein, "wenn man sie überhaupt bestimmen kann". Der Genetiker erinnert daran, dass während einer Zellteilung etwa 100 Mutationen auftreten, dass die Analyse immer im Ruhezustand stattfindet. "Aber schon bei Sonneneinwirkung gibt es Brüche in der DNA-Struktur, Stress, ein erhöhter Adrenalinspiegel oder nur ein Kölsch können alles verändern." Uwe Heinlein, der zweimal Stipendien an der berühmten Yale-Universität in den USA bekam, kooperiert heute noch in einigen Bereichen mit amerikanischen Kollegen. Über deren Wette, wie viele Gene irgendwann einmal beim Menschen gezählt werden, lacht er. Denn dieses Spiel zeigt ihm nur, wie wenig man tatsächlich bisher weiss. Er setzt die Zahl niedriger an als alle anderen, die für einen Dollar auf eine Zahl zwischen 27.000 und 153.000 menschlichen Genen setzen.

Professor Heinlein tippt auf 25.000. Ohne Gewähr.